«Widerstand bedeutet Existenz» : die palästinensische Linke und der Krieg gegen Gaza / Katja Hermann. Ramallah : Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2014 ; Halle (Saale) : Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, 2014
Inhalt
PROTESTE IM WESTJORDANLAND
Mit Beginn des Gaza-Krieges formiert sich im Westjordanland und in Ost-Jerusalem Widerstand gegen die israelische Aggression, weitgehend spontan organisiert und gewaltfrei: In den Städten sowie an den Checkpoints finden Demonstrationen statt, es gibt zahlreiche Solidaritätskampagnen und Hilfslieferungen von Kleidung, Geld, Arznei- und Lebensmitteln in den Gazastreifen. Doch vor allem ist es die interne palästinensische Boykottbewegung, die während des Krieges eine zuvor nicht gekannte Unterstützung erfährt.
ROLLE DER PALÄSTINENSISCHEN AUTONOMIEBEHÖRDE
Im Rahmen der Oslo-Abkommen hat sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in den 1990er Jahren zu einer Sicherheitskoordination mit Israel verpflichtet. Der Schutz Israels, israelischer Soldat_innen und ihrer Infrastruktur sowie die Abstimmung von Aktionen des israelischen Militärs innerhalb der palästinensischen Gebiete zwischen Israel und der PA sind Teil dieser Koordination. Entsprechend widersprüchlich reagiert die PA auf die Protestaktionen gegen den Gaza-Krieg. Während sie einerseits versucht, d
UNTERSTÜTZUNG DES MILITANTEN WIDERSTANDES
Aus Sicht der palästinensischen Linken legitimiert der Besatzungskontext das Recht auf Selbstverteidigung und Widerstand, was auch den militanten Widerstand gegen Israel als ein probates Mittel des Befreiungskampfes einschließt. Dabei wird der bewaffnete Kampf nicht als Selbstzweck oder als der einzig richtige Weg angesehen, sondern als eine Möglichkeit von vielen, die andere Formen des Widerstandes, beispielsweise den gewaltfreien Protest - gegen Mauer und Landenteignung oder Boykott – ergänzt. Der militan
Der militante Widerstand aus dem Gazastreifen wird als eine wirksame Methode angesehen, das Leiden der Palästinenser_innen unter israelischer Besatzung in das Bewusstsein der Menschen in Israel und auch der Weltöffentlichkeit zurückzubringen. Umfragen aus Israel und die Wahlen im Jahr 2013 zeigen, dass die Besatzung der palästinensischen Gebiete in der israelischen Gesellschaft und Öffentlichkeit kaum noch ein Thema darstellt. Die Besatzung ist längst zu einer Normalität geworden, mit der Israel gut leben k
KRITISCHE STIMMEN
Es gibt jedoch auch palästinensische Linke, die die Raketen kritisieren, allerdings sind sie deutlich in der Minderheit. Auch für sie ist militanter Widerstand gegen Israel grundsätzlich ein legitimes Mittel, allerdings glauben sie, dass der fortgesetzte Raketenbeschuss dem Anliegen der Palästinenser_innen mehr schade als helfe, und dass er vielmehr dazu beitrage, die Zahl der Opfer im Gazastreifen weiter zu erhöhen: „Gaza ist ein Gefängnis, es gibt dort keine Schutzräume für die Menschen, von dort Raketen
Es ist alles andere als einfach, solche Fragen zum jetzigen Zeitpunkt zu stellen. In Kriegszeiten rückt man zusammen, kritische Stimmen gelten da als wenig opportun. Menschen, die es dennoch wagen, geraten in den Verdacht, keine wahren Patriot_innen zu sein oder ihnen wird die Nähe zu Israel unterstellt. Üble Nachrede und Anfeindungen sind die Folge, mindestens. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, finden kritische Reflektionen deshalb nicht in der Öffentlichkeit statt, die allermeisten Medien, insbesondere die
PALÄSTINENSISCHE LINKE UND HAMAS
Der bewaffnete Widerstand aus dem Gazastreifen wird von Hamas angeführt, was eine weitere Herausforderung für linke Politik in den palästinensischen Gebieten darstellt. Auch wenn richtig darauf hingewiesen wird, dass der Widerstand nicht allein auf Hamas reduziert werden kann und sich auch andere Akteure, wie z.B. die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) beteiligt haben, wird die formative und dominante Rolle von Hamas in der Linken d
Insbesondere für Feminist_innen ist die Annäherung an Hamas in den eigenen Reihen schwer auszuhalten. Wie können Linke über den patriarchalen Gesellschaftsentwurf der Hamas hinwegsehen, der ein Frauenbild propagiert, das mit linken Verständnissen rein gar nichts zu tun hat? Aber auch unter Feminist_innen gibt es unterschiedliche Ansichten, auch hier sind über den Krieg und die Rolle von Hamas Freundschaften brüchig geworden. Im palästinensischen Kontext, wo sich politische Kräfte zunächst und vor allem über
NACH DEM KRIEG
Diese Haltung gegenüber Hamas kann für linke Kräfte in Palästina problematisch werden - vor allem angesichts des wachsenden Zuspruchs für die Organisation. Während Hamas in den vergangenen Jahren stark an Einfluss verloren hatte, nicht zuletzt bedingt durch den Machtwechsel in Ägypten und die Zerschlagung der Muslimbruderschaft, konnte die Organisation durch ihre führende Rolle im Widerstand insbesondere im Westjordanland sehr viel an Popularität dazugewinnen. Ob dies so bleibt, hängt vor allem von Gestaltu
Wie sich das derzeitige Standing von Hamas auf zukünftige Machtverhältnisse und auf die sozio-politische Wirklichkeit in den palästinensischen Gebieten auswirken wird, bleibt abzuwarten. Ebenso ist offen, wie linke Akteure sich nach dem Ende des Krieges gegenüber dem stärksten Player des Widerstandes verhalten werden, ein reines „Zurück auf Start“ wird kaum möglich sein.
Es mögen Krisenzeiten sein, die solche Schulterschlüsse in den Augen vieler notwendig und richtig erscheinen lassen, es ist aber auch und vor allem die Schwäche linker Akteure, die eine solche Anbindung erfordert, wollen sie nicht vollends in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Es ist einmal mehr an der Zeit, dass die Linke einen Weg findet, sich in der palästinensischen Gesellschaft als eine alternative Kraft zu profilieren. Nur so kann sie glaubwürdig sein, kann die Anziehungs- und Gestaltungskraft gewi
Katja Hermann