Präsidentschaftswahlen in Algerien : Im Namen der Stabilität ; Wahlbetrug und Amtsmissbrauch bescheren Algeriens Präsident Bouteflika ein umstrittenes viertes Mandat / von Sofian Philip Naceur. Berlin : Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2014 ; Halle (Saale) : Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, 2014
Content
Neben seiner angeschlagenen Gesundheit und erheblicher Zweifel daran, ob Bouteflika überhaupt fähig ist das Amt des Staatspräsidenten auszuüben, kritisierte die Opposition wiederholt die starren Strukturen von Algeriens Machtapparat, der auch 52 Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes vom Bouteflika-nahen Clan aus West-Algerien dominiert wird. Diese mit Abstand mächtigste Fraktion in FLN und Staatsapparat hat seit Bouteflikas Amtsantritt 1999 ihren Einfluss gar noch ausgebaut. Auch aus den Reihen der FLN w
FARBLOSE KANDIDATEN, FARBLOSER WAHLKAMPF
Bouteflika trat dennoch erneut zur Wahl an und von Beginn an war sicher, wer das Rennen machen würde. Auch hatte keiner seiner Gegenkandidaten den notwendigen Rückhalt von Militär und Geheimdienst. Zwar bewarben sich zwölf Kandidaten um die Teilnahme an der Wahl, doch nur sechs wurden vom Verfassungsrat zugelassen. Moussa Touati, Ali Fawzi Rebaïne und Louisa Hanoune, Chefin der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT), traten zum dritten Mal gegen Bouteflika an. Einziger Neuling war Abdelaziz Belaïd. Alle vier w
Bouteflikas Clan begann schon im Herbst 2013 mit dem Wahlkampf, unter anderem mit der Ankündigung eines großangelegten Bauprogramms für Sozialwohnungen. RND-Chef Abdelkader Bensalah verwies auf Algeriens politische Stabilität und Bouteflikas «Errungenschaften». Sellal versprach die «Demokratisierung» des Systems, sollte Bouteflika wiedergewählt werden. Bemerkenswert war hingegen die Thematisierung der Anerkennung der Berber-Sprache Amazigh, die sich fast alle Kandidaten zu eigen machten. So versprach Benfli
AUSSCHREITUNGEN ÜBERSCHATTEN URNENGANG
Bereits im Vorfeld des Urnengangs kam es zu Protesten vor allem im Norden des Landes. In der Kabylei wurden Wahlkampfauftritte gestört. Bouteflikas Kampagnenleiter Sellal musste eine Rede in Béjaïa absagen nachdem Demonstranten den Saal gestürmt hatten. Auch Benflis' Wahlkampagne war betroffen. Kurz vor der Wahl protestierten rund 4000 Menschen in Tizi Ouzu, der größten Stadt in der Kabylei.3 Einen Tag vor der Abstimmung wurde eine Kundgebung der Protestbewegung «Barakat» in Algiers Innenstadt von der Poliz
Wenige Tage nach dem Urnengang fand zudem in der Nähe von Tizi Ouzu ein Anschlag auf einen Militärposten statt. 14 Soldaten wurden getötet. Die Region ist immer wieder Ziel terroristischer Gruppen, die seit Ende des Bürgerkrieges der 1990er Jahre weiterhin regelmäßig Anschläge im Land verüben.4 Dennoch finden seit einigen Jahren kaum noch terroristische Anschläge im Norden des Landes statt. Mit Ausnahme der Kabylei und Algier verlief der Urnengang ruhig. Noch am Wahlabend feierten Anhänger Bouteflikas berei
BETRUGSVORWÜRFE WERDEN LAUTER
Unmittelbar nach Ende des Wahlgangs intensivierten sich Manipulationsvorwürfe. Noch vor Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse veröffentlichte Benflis eine Stellungsnahme, in der er von «großangelegtem Wahlbetrug» spricht. Benflis, Rebaïne und Touati erkennen das Resultat nicht an. Von den angetreten Kandidaten äußerte sich nur Hanoune regimekonform.5 Das Ergebnis sei «ein großer Sieg für das algerische Volk» und im Gegensatz zu 2009, als sie noch lautstark gegen den Ausgang der Wahl opponierte, nannte sie
ISLAMISTEN UND SÄKULARE RUFEN ZUM WAHLBOYKOTT AUF
Wie die Proteste vor und während des Urnengangs gezeigt haben, hat die Opposition auch weiterhin Zulauf. Im März folgten rund 5000 Menschen den Aufrufen der in der Kabylei verankerten Sammlung für Kultur und Demokratie (RCD) und der islamistischen MSP (Bewegung für die Gesellschaft und den Frieden), protestierten gegen Bouteflikas Kandidatur und riefen zum Wahlboykott auf. Doch die Opposition ist nach wie vor tief gespalten und die Gräben zwischen Islamisten und Säkularen tief. Ein Grund für die zögerliche
Das RCD gehörte jahrelang ebenso wie die PT zur vom Regime tolerierten und im Parlament erwünschten Opposition, da sie mit ihrer alleinigen Anwesenheit dem System Legitimität verliehen. Das RCD war erst 2012 aus der Legislative ausgeschieden, nachdem die Partei überraschend die Parlamentswahl 2012 boykottierte. RCD und Sozialistische Front (FFS), die zweite in der Kabylei verankerte Partei, hatten die Rollen getauscht. Rief das RCD 2012 wie auch 2014 zum Boykott auf, nahm die FFS 2012 erstmals seit Beginn d
Aufgrund der Enttäuschung vieler Menschen über die etablierte Opposition ist es nicht verwunderlich, dass mit der erst 2013 formierten Protestbewegung «Barakat» eine parteiübergreifend operierende Organisation mit ihrer Boykottkampagne am meisten Staub aufwirbelte. Während Kommentatoren in «Barakat» schon die algerische Version von Ägyptens «Kefaya»-Bewegung erkennen, die lange vor der Revolution dem Teilerfolg der Revolte den Weg bereitete, betont Prof. Dr. Rachid Ouaissa von der Universität Marburg, bisla
Auch Algeriens unabhängige Gewerkschaften stellen sich gegen Bouteflikas viertes Mandat. Der Präsident des unabhängigen Gewerkschaftsverbands des öffentlichen Dienstes (SNAPAP) Rachid Malaoui bezeichnete die Wahl schon im Vorfeld als «Maskerade» und kündigte die Teilnahme der SNAPAP an Protestaktionen an. Unabhängige Berufsverbände und Gewerkschaften sind Algeriens Regierung ein Dorn im Auge. Streiks und Arbeitskämpfe wurden faktisch für illegal erklärt, in gewissen Berufsfeldern sei die Gründung unabhängig
INTERNATIONALE WAHLKAMPFHILFE FÜR BOUTEFLIKA
Während Wahlbeobachter der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga der Präsidentschaftswahl 2014 in Algerien bescheinigten im Rahmen internationaler Standards abgelaufen zu sein, hatte die EU verzichtet Wahlbeobachter ins Land zu schicken. Stattdessen reisten kurz vor dem Urnengang westliche Spitzenpolitiker nach Algier. Alle Besuche wurden vom Staatsfernsehen begleitet. Bouteflika wirkt bei den Auftritten keinesfalls sattelfest, doch die Symbolik war eindeutig: dieser Kandidat ist gesundheitlich in der
Algerien ist nach Russland und Norwegen Europas dritt-größter Energielieferant. Angesichts der derzeitigen Krise in der Ukraine werden Algeriens Energiereserven für Europa immer wichtiger. Algeriens internationale Partner sind an der Stabilität des Landes interessiert, schließlich ist die verstärkte politische Instabilität der Region im Fahrwasser des Arabischen Frühlings eine schwere Hypothek für die wirtschaftlichen Interessen der Industrienationen.7 Rüstungskonzerne verdienen zwar gut in der Region – vor
DAS SYSTEM BOUTEFLIKA – WER WIRD NEUER VIZE-PRÄSIDENT?
Bouteflikas «Nationale Aussöhnung» nach Ende des Bürgerkrieges zwischen militanten Islamisten und der Armee, der rund 150000 Menschenleben gekostet hat, wurde flankiert von massiv gestiegenen Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasexport. Das Land ist nach Nigeria der zweitgrößte Energieexporteur Afrikas und die Regierung verfügt ob des hohen Weltmarktpreisniveaus für Erdöl über hohe Einkünfte, die ob der weit verbreiteten Korruption im Staatsapparat und einer auf Importen basierenden Wirtschaftspolitik meist i
Dem Land drohen ob der massiven sozialen Ungleichheit mittelfristig Unruhen. Beobachtern zufolge ist es keine Frage, ob ein erneuter Massenaufstand das Land erschüttern wird, sondern lediglich wann. Etablierte Oppositionsparteien sind diskreditiert, denn das Regime hat um sich herum ein machtpolitisches Vakuum geschaffen. Das Regime hat alle politischen Kräfte im Land kooptiert oder durch eine partielle Beteiligung an den Öleinnahmen gefügig gemacht und kalt gestellt. Zudem hat Algier die Einkünfte aus dem
Vor diesem wirtschaftspolitischen Hintergrund agiert der so genannte tiefe Staat. «Algeriens Regime ist eine Staatsklasse, eine Art Kartell, dessen verschiedene rivalisierende Fraktionen hinter den Kulissen informelle Abmachungen zur Machtteilung vereinbaren. Offenbar konnten sich die wichtigsten Gruppen innerhalb des Apparates – Armee, Geheimdienst und Bouteflikas FLN – nicht auf einen Nachfolger einigen und Boufeflika war daher gezwungen erneut zu kandidieren», betont Ouaissa. Immerhin war Bouteflika 1999
Am Status Quo haben diese Affären nichts geändert, ganz im Gegenteil. Algeriens Regime ist fragmentiert, doch die an der Macht beteiligten Fraktionen im Machtapparat – ob aus der FLN, dem DRS oder der Armee – haben ein elementares Interesse daran, dass die effektiven Machtstrukturen im Verborgenen bleiben. So hält Ouaissa den Schlagabtausch zwischen DRS und FLN auch für ein «inszeniertes Theaterstück». Solange die Profiteure des «Systems Bouteflika» auch weiter die Einkünfte aus dem Erdölexport unter sich a
Sofian Philip Naceur ist freier Journalist und lebt und arbeitet in Kairo. Er berichtet aus Ägypten und Algerien unter anderem für die Junge Welt aus Berlin und die Wochenzeitung aus Zürich. Naceur ist Mitglied bei Attac und der Linkspartei im Kreisverband Marburg-Biedenkopf.
1 Vgl. Fedjkhi, Amar: «Bouira: Situation très tendue à Raffour et Haizer, affrontements sporadiques», El Watan 17.4.2014.
2 Seit Dezember 2013 erlebte Ghardaïa heftige Unruhen zwischen sunnitischen Arabern des Chamaa-Stammes und berberischen Mozabiten. Mindestens acht Menschen wurden seither getötet und Hunderte verletzt. Anfang April entlud sich eine neue Welle der Gewalt in der mehrheitlich von Mozabiten bewohnten Provinz. Araber und Mozabiten gingen dabei immer wieder aufeinander los, zündeten Häuser an und verwüsteten einen Friedhof. Wurden die blutigen Ereignisse noch im Dezember von der Regierung heruntergespielt und wei
3 Vgl. «Marche du RCD à Béjaïa : Près de 4000 manifestants dans la rue», El Watan 15.4.2014.
4 Erst im Januar 2013 hatten islamistische Extremisten die Erdgasanlage In Amenas nahe der tunesischen Grenze überfallen und Geiseln genommen. Algeriens Armee stürmte das Areal, dutzende Islamisten und Geiseln wurden dabei getötet. Der Vorfall war das schwerste Attentat seit langem. Vor allem aufgrund der Aktivitäten von Gruppen wie Al Qaida im Islamischen Maghreb in Algerien ist das Land für Europa und die USA von enormer sicherheitspolitischer Bedeutung. Algeriens Geheimdienst DRS war jedoch in die Aktivi
5 Vgl. Amir, Nabila: «Le choix de Bouteflika était un vote-refuge», El Watan 20.4.2014.
6 Vgl. «Ahmed Betatache: Nous ne voulons pas participer à une pièce de théâtre», El Watan 11.4.2014.
7 Libyen ist fragmentiert und droht auch weiter auseinanderzubrechen, Ägypten befindet sich nach wie vor in der Übergangsphase und in Mali, Niger und Tschad haben sich seit 2011 die Aktivitäten radikaler islamistischer Gruppen deutlich verstärkt.